"Colossal Youth"
Mit ihrem einzigen Album verzaubern die Young Marble Giants seit vierzig Jahren Musikfans weltweit

Von: Michael Bartle
Stand: 21.12.2020
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Zum 40. Jubiläum wird die bahnbrechende erste Platte der Young Marble Giants neu veröffentlicht. Mit "Colossal Youth" hat die Band etwas Besonderes geschaffen. Einen Monolithen in der Poplandschaft. Einen Sound, ohne den vieles aus der Musiklandschaft heute nur schwer denkbar ist.

Der Masterplan für das erste und einzige Album der Young Marble Giants, sagt mir zumindest Stuart Moxham per Telefonschalte: "Ich wollte unbedingt als Songwriter etwas Bedeutsames erschaffen. Ich war kein besonderer Gitarrist, ich hatte nur drei Jahre Übung. Ich brauchte also eine besondere Idee. Wir wollten die Musik so einfach wie möglich stricken, denn ich habe damit gerechnet, dass wir scheitern würden. Das war bei Weitem das Wahrscheinlichste. Niemand, den wir kannten, war erfolgreich. Erfolg war nahezu unmöglich. Ich wollte keine Zeit verschwenden. Wir gaben uns ein Jahr Zeit und sagten uns 'Lasst uns Material für eine Stunde schreiben, das könnte dann ein Album ergeben'. Wir sind mit einem klaren Plan rangegangen."

Das einzige Album verzaubert nun schon seit 40 Jahren

Wer fast alles weglässt, muss sich sicher sein, dass das bisschen, was stehenbleibt, tatsächlich zündet, knallt, verzaubert. Colossal Youth, Kolossale Jugend: Das einzige Album der Young Marble Giants verzaubert Musikfans nun schon seit 40 Jahren. Ein paar Basstöne, so unregelmäßig wie ein Herz, das gar nicht hinterherkommt, zu schlagen, eine Drum-Machine, ein paar wenige Riffs auf der Rickenbacker 425 – und natürlich Sie – Alison Statton, ihre Stimme, ganz weit draußen, auf dem letzten Felsen vor dem Nichts. Ein akustischer Leuchtturn, der gelegentlich zwinkert und blinkt, oft schon im Notstrom-Modus, aber umso mehr holt er uns ab, zieht unsere Aufmerksamkeit, wir die wir draußen sind auf stürmischer See.

"Punk war ja gerade losgegangen", erzählt Moxham weiter, "aber Punk hat mich enttäuscht. Punk wollte revolutionär sein, aber mir kam es damals eher vor wie ein Hype. Noch mehr krachlauter Rock‘n’Roll, nur schneller gespielt. Deshalb dachte ich – wir machen alles anders, wir brechen alle Konventionen." Die Schönheit der Young Marble Giants, laut dem Gitarrist und Songwriter, entstand also aus dem Geist, der stets verneint. Nein zum Getöse des Punk, der so rockistisch daherkam wie der Feind, gegen der er sich wandte. Nein zum Bombast des Prog-Rocks der älteren Brüder. Nein zu all dem Firlefanz, der von der Essenz des Sounds nur ablenken würde. Trotzdem kam die Musik der Young Marble Giants nicht aus dem Nirgendwo.

Entstanden aus dem Geist, der stets verneint

Stuart bewunderte vor allem die erste Roxy-Music-Platte und Brian Enos Minimal-Gedicht „By This River“. Und Ultravoxx, die 1977 einen Song wie "Hiroshima Mon Amou"“ hingetupft hatten, der einen ähnlichen "Skeletal Space" eröffnet, einen gespensterhaft leeren Raum, wie kurz darauf die Young Marble Giants. "Wir wollten kein richtiges Schlagzeug", sagt Moxham dazu. "Und am liebsten gleich auf alle Instrumente verzichten, die nicht absolut notwendig waren. Wir wollten sehr leise sein. Und nur ganz kurze Songs spielen. Kurze und sehr melodiöse Songs. Gesungen von einer Frau."

Vielleicht sind die Songs der Young Marble Giants deshalb gleichzeitig so nah wie entrückt, weil sie sozusagen genderfluid sind, das Geschlecht wechseln. Die Texte kommen alle von Moxham selbst, aber Allison Statham liest sie sozusagen blind, wie er berichtet: "Das absolut Besondere war, dass sie die Songs sofort konnte, fast aus dem Stand. Ich musste sie ihr nur kurz vorsingen. Und sie hatte genau den richtigen Stimmumfang dafür, das war ja nicht selbstverständlich. Ich wäre ja sonst mit meinem Latein am Ende gewesen. Sie war die Richtige, ich will jetzt nicht gemein sein, aber sie war fast wie ein Papagei. Sie hat ein hervorragendes Gehör. Und konnte es exakt so umsetzen, wie ich es gemeint hatte".

Kurt Cobain war großer Fan

Mit dem Album "Colossal Youth" haben die Young Marble Giants mächtig Eindruck hinterlassen. Ein einziger Schuss hat also genügt. Kurt Cobain war großer Fan, seine Frau Courtney Love hat mit ihrer Band Hole den Giants-Song "Credit In The Straight World" gecovert. Und auch der Sound von The XX wäre ohne "Colossal Youth" nur schwer denkbar. 40 Jahre später lebt Stuart in Dorset – und gewöhnt sich langsam an den Gedanken, dass sein Plan aufgegangen ist: "Ich hab sehr lange gebraucht, bis ich akzeptieren konnte, dass wir da einen Monolithen erschaffen haben. Was Besonderes. Etwas, das wie nichts anderes klingt. Das hatte viel damit zu tun, dass das Album zum 40. Geburtstag nochmal erschienen ist. Es war nicht einfach, aber jetzt bin ich schon sehr geschmeichelt und stolz auf das, was wir erreicht haben!".

 

 

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Das kurze, aber wegweisende Bandleben der Young Marble Giants

Ein Beitrag von: Michael Bartle (54 minutes, 13.08.2021)

Die Popgeschichte hat viele aufregende Debüts gesehen. Eine absolute Seltenheit im Rock'n'Roll-Business ist es aber, ein Debütalbum rauszuhauen, das die Welt mit offenem Mund dastehen lässt. Eines, nach dem sich andere Bands benennen werden. Nur um dann, kurz danach, einfach zu verschwinden. Für mehr oder weniger 40 Jahre lang. Eine solche Band waren die Young Marble Giants. Mit ihrem Denker und Lenker Stuart Moxham hat Michael Bartle lange gesprochen.

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